Die Wirtschaft wächst, unser Wohlstand nicht. Mit immer stärkeren politischen Interventionen wird versucht das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu steigern. Doch diese Eingriffe und das Wachstum selbst kommen mit riesigen negativen Begleiterscheinungen. Das BIP steigt zwar mittelfristig tatsächlich leicht an. Doch die Kaufkraft der Einkommen sinkt, die Ungleichheit steigt und Flächenversiegelung, Klimawandel und Plastikmüll bedrohen unsere Lebensqualität und Lebensgrundlage. Das BIP ist völlig ungeeignet, um die Leistung, die Dynamik und auch die Probleme moderner Ökonomien abzubilden und zu verstehen.
Im Jahr 2008 betrug in Österreich das monatliche Nettoeinkommen einer 30-jährigen Person 1,750 Euro und eine 50 Quadratmeter große Wohnung kostete 145,000 Euro. Im Zeitraum von 2008 bis 2018 ist das gesamte BIP um 11% gewachsen, die Bevölkerung um 6%, der Bodenverbrauch um 13%, die Anzahl der Wohnungen um 12% und das Vermögen von Österreichs Milliardären ist von 13 Mrd. Euro auf 43 Mrd. explodiert. Im Jahr 2018 war das inflationsbereinigte Einkommen einer 30-jährigen Person aber noch immer 1,750 Euro, nur kostete die Wohnung nun 210,000 Euro.[1] Eine Frage sollten wir uns dringend stellen: Was genau wächst mit der „Wirtschaft“ eigentlich?
Das BIP: Ein Maß für Ressourcenverbrauch
Die Differenz zwischen dem BIP-Wachstum, den stagnierenden Einkommen und der problematischen Entwicklung vieler Umweltindikatoren ist keine Überraschung: Das BIP misst die Produktion von Gütern und Dienstleistungen über deren Preise. Damit erfasst man hauptsächlich den Wert der verbrauchten Ressourcen. BIP-Wachstum bedeutet einfach einem höheren Ressourcenumsatz und hat mit einem langfristigen Anstieg von wirtschaftlichem Wohlstand nicht unbedingt etwas zu tun. Das eigentliche Ziel unserer Wirtschaftsaktivitäten, die Befriedigung unserer Bedürfnisse, spielt im BIP-Wirtschaftskonzept überhaupt keine Rolle.
Wir müssen unsere Ressourcen sorgsamer einsetzen und den Verbrauch reduzieren, um unseren wirtschaftlichen Lebensstandard langfristig zu halten. Die fortschreitende Zerstörung unserer Ökosysteme und die Erderhitzung verursacht bereits jetzt enorme Einbußen an Lebensqualität und wirtschaftlichen Wohlstand. Aber auch die Bevölkerungsalterung und damit verbunden Knappheit von Arbeitskräften wird eine riesige Herausforderung in den nächsten Jahrzehnten. Ein wesentlicher Teil wirtschaftlichen Fortschrittes besteht daher darin, Bedürfnisse mit geringerem Produktionsaufwand und geringerem Ressourcenverbrauch zu befriedigen.
Innovationen reduzieren das BIP
Echte Innovationen zielen darauf ab, Bedürfnisse mit geringerem Verbrauch und Kosten zu befriedigen. Zum Beispiel ist durch die Digitalisierung der Zugang zu Information, Unterhaltung und vielen Dienstleistungen wesentlich billiger und ressourcenschonender geworden. Innovationen im Gesundheitsbereich, vor allem eine bessere Vorsorge, vermeiden kostspielige Krankenhausaufenthalt. Aber auch in der Raum-, Stadt- und Verkehrsplanung können innovative Ideen den Produktionsaufwand und Ressourcenverbrauch senken. Ein Beispiel ist die 15-Minuten-Stadt, in der durch gute Planung Wege und Mobilitätsaufwand reduziert werden. Weitere Beispiele findet man in einem älteren Blog-Beitrag: Wie Innovationen das BIP senken und Wohlstand steigern.
Innovationen, welche unsere Bedürfnisse mit geringeren Produktionsaufwand und Kosten befriedigen, werden im BIP-orientierten Konzept nicht als Wachstum abgebildet, sie reduzieren das BIP sogar.
Das BIP lässt sich nur mit immer stärkeren Interventionen steigern. Technischer Fortschritt führt ja dazu, dass Bedürfnisse mit geringeren Kosten und damit einem niedrigerem BIP genauso gut, oder sogar besser befriedigt werden. Eine maßgebliche Rolle im künstlichen Aufblähen des BIP spielt die Geldpolitik, welche mit immer mehr und noch billigeren Krediten unrentablen Ressourceneinsatz finanziert. Aber auch „Investitionsförderung“ dient dazu, Produktionsaktivitäten zu finanzieren, die kaum, oder überhaupt keinen Mehrwert schaffen.
Moderne Wachstumskonzepte
Das BIP als Wirtschaftsmaß hat sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter von unserer wirtschaftlichen Lebenswirklichkeit entfernt und versteckt fundamentale Probleme, statt sie aufzuzeigen. Zwei dieser fundamentalen Probleme sind die Ignoranz des technischen Fortschritts und die Zerstörung unserer Ökosysteme. Die Leistungsänderung einer modernen Volkswirtschaft lässt sich nicht mittels kurzfristigen Produktions- und Verbrauchwachstum abzubilden. In den nächsten Jahrzehnten werden sich völlig anderer Konzepte durchsetzen, was Wirtschaft eigentlich ist und was Wirtschaftswachstum bedeutet.
Die bekannteste Kritik am BIP-Wirtschaftswachstum kommt zwar derzeit von der Degrowth-Bewegung, sie hat es aber bisher verabsäumt, bessere Konzepte zu entwickeln. Degrowth hat zwei wesentliche, blinde Flecken. Erstens, die Akzeptanz des BIP als Maß für Wirtschaftswachstum. Das Hauptproblem mit dem BIP liegt ja darin, dass ein völlig veraltetes Konzept für „Wirtschaft“ dahintersteckt. Und zweitens, Degrowth-Anhänger sehen die Lösung üblicherweise in mehr Macht für den Staat. Doch dies ist weniger die Lösung als die Ursache vieler Probleme. Unter anderem, weil über den Staat Entscheidungsmacht von Individuen und langfristig orientierten Institutionen wie Familien und Unternehmen, zu extrem kurzfristig orientierten Akteuren in der Politik verschoben wird.
Es gibt aber faszinierende Alternativen zum konsumorientierten BIP als Wirtschaftskonzept. Darunter die österreichische Schule der Nationalökonomie, welche Individuen, deren Vorlieben und die langfristige Steigerung des Wohlstandes in den Mittelpunkt rückt. Oder der Fähigkeiten-Ansatz von Amartya Sen, welcher wirtschaftliche Entwicklung als Verwirklichungschancen von Lebensentwürfen versteht. In beiden Ansätzen stehen Gestaltungsmöglichkeiten und die langfristige Befriedigung von Bedürfnissen im Vordergrund, nicht Produktion und unmittelbarer Konsum. Die Grundlage nachhaltiger, wirtschaftlicher Entfaltung liegt in der Ermächtigung von Individuen, Familien und gesellschaftlicher Gruppen, eigene Lebensentwürfe zu verwirklichen, Wohlstand zu schaffen und diesen auch über Generationen zu erhalten.
Auch die Wirtschaftsstatistik hat bessere Maße und Indikatoren längst parat. Unter Beyond GDP versteht man die Initiativen zur Entwicklung von Wirtschafts- und Wohlstandindikatoren, welche nicht nur den Produktionsaufwand messen, sondern wirtschaftlichen Wohlstand erfassen. Ein Beispiel ist Environmental Accounting, mit dem von Ökosystemen bereitgestellte Dienstleistungen gemessen und bewertet werden, sowie der Wert von Ökosystemen als Produktionskapital gemessen wird. All diese Ideen und Initiativen verbessern und erweitern unser Verständnis von Wirtschaft, vor allem der langfristigen Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung.
Der Blog Generational-Economy.org hat bis jetzt vor sich hin geschlafen. In nächster Zeit werde ich mir die Probleme mit dem BIP genauer anschauen, wie auch einige zukunfts- und wohlstandsorientierte Konzepte von Wirtschaft. Das BIP-Wirtschaftskonzept bildet selbst den Konsum und die Zerstörung der Lebensgrundlage als Wachstum ab – das kann es wirklich nicht sein.
[1] Die Daten zum BIP und der Bevölkerung stammen von Eurostat, Informationen zum Bodenverbrauch gibt es auf https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/boden/flaecheninanspruchnahme, Daten über Anzahl der Wohnungen bei der Statistik Austria. Die Angaben zu den Vermögen stammen von der Forbes-Liste der Milliardäre. Bei den Einkommen handelt es sich um den Median, Datenquelle ist EU-SILC. Wohnungspreise wurden auf Basis von www.immopreise.at und des Immobilienpreisindexes (inflationsbereinigt) geschätzt.